Jan F. Kurth
©Marc Doradzillo

Jan F. Kurth - Eine Neue Form der Verantwortung

PORTRAIT NEUSTART KULTUR STIPENDIENPROGRAMM (2020/21)

Maskenpflicht in der Innenstadt. Mas-ken-pflicht-in-der-In-nen-stadt.

Das hat doch einen Rhythmus. Im Ohr von Jan F. Kurth jedenfalls hat es das ganz offenkundig. Es groovt, gerade weil es holpert. Man muss es nur ein paarmal so vor sich hinsagen: Maskenpflicht in der Innenstadt. „Man kann sich daran abarbeiten“, sagt Kurth. Die Maskenpflicht in der Innenstadt, die im Herbst 2020 nicht nur in der Freiburger Altstadt geboten war, sondern eben auch dort verkündet wurde, auf Schildern an Laternen und auf den Boden gesprüht, war nicht nur eine Hygienemaßnahme. Die Pandemie war auch eine gigantische Sprachmaschine. „Ich habe manchmal bereut, kein Philologe zu sein“, erinnert sich der Künstler. Zugehört hat Kurth dennoch. Und die Produkte der Maschine gesammelt, um daraus Kunst zu machen für die absolute Gegenwart. Angefangen hat alles mit der Frage der Verantwortung. Die war nämlich in den ersten Tagen der Pandemie überaus wichtig. Zuhause bleiben, Abstand halten, allenfalls zu Randzeiten einkaufen gehen – das war alles, anders als der kapitalistische Alltag es gewöhnlich denken lässt, kein Akt der Selbstoptimierung, sondern einer der Solidarität. Dass das eigene Verhalten den Verlauf einer globalen Seuche beeinflussen kann – was in anderen sozialen und ökologischen Krisenfeldern abstrakt bleibt – wurde nun täglich statistisch belegt.

„Was braucht es in einer solchen Situation? Gibt es eine musikalische Antwort?“, diese Fragen stellte sich der 40jährige damals, berichtet er mir fast drei Jahre später beim Spaziergang durch ein regnerisches Freiburg. Die Cafés sind brechend voll an diesem Nachmittag, die Maskenpflicht in der Innenstadt allenfalls ein fernes Echo. „Kann ich das in Musik reflektieren, kann sie sich dieser Themen annehmen? Und wenn ja, wie?“, fährt er fort mit den Fragen an sich. „Meine Überlegung war: Ich bin Sänger und Komponist und Improvisationsmusiker. Ich bringe das zusammen und finde eine individuelle Antwort.“ 

Kurth, aufgewachsen in Köln, Studium des Jazzgesangs in Dresden und der Filmmusik in Freiburg, versucht in seinem künstlerischen Werk stets, die Ausdrucksweisen von Gesang zu erkunden, bisweilen ohne Text – dann klingt seine Stimme aus Randzonen des menschlichen Sounds und wird zum Glitch, oder, umgekehrt, ganz Körper: ein Lachen, Atmen, Zischen. Oft aber auch mit Texten, die ihn inhaltlich oder ästhetisch inspirieren, gefundenes Material. Da gab es zum Beispiel die “Neuroper”, ein Opernintermezzo über die Vorgänge im menschlichen Hirn, für die er sang, komponierte und Texte collagierte. Oder “Schwan Krebs Hecht”, ein Stück, mit dem er sich auf Texte dreier Dichter*innen des russischen Futurismus bezieht und zu Musiktheater mit großem Improvisationsanteil verbindet. Mit seinem Gesangstrio Die Soziale Gruppe steht er wiederum genau an der Grenze von Lecture-Performance auf wissenschaftlicher Basis und Kammerkonzert.

       Text: Steffen Greiner

Das ganze Portrait findet Ihr in der Sidebar als pdf-Download